Blog

Prüfungen, Gelassenheit

Prüfungen, Gelassenheit

André, 19.03.2015

Als Lehrer, Lernbegleiter und Universitätsstudent sind Prüfungen für mich an der Tagesordnung. Bei meinen Schülern sehe ich immer, was für einen enormen Druck Schulprüfungen auslösen können. Einerseits bereitet es mir große Sorgen zu sehen, wie schwer sich Jugendliche damit tun, aber es erinnert mich auch immer wieder daran, dass ich es selber auch geschafft habe dieses Druckgefühl zu überwinden. Es muss nicht so sein und ich gebe mein Bestes das hier irgendwie zu verdeutlichen. Ich werde ein paar wichtige Fragen stellen und jeweils meine Antworten erläutern, die bei mir letztendlich dazu geführt haben, dass ich heute mit hundertprozentiger Gelassenheit in jede Prüfung gehe.

Warum schreiben wir Prüfungen und gibt es denn keine Alternativen?

Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Arten von Prüfungen, mit sehr verschiedenen Hintergründen. Am weitesten verbreitet sind wahrscheinlich die Prüfungen die jeder aus der Schule bzw. aus der Universität kennt. Hier geht es meistens um eine Bewertung eines bestimmten Kenntnis- und Wissensstandes. Durch die Prüfungen kann jedem Schüler eine Note zugeordnet werden. Diese Note entscheidet dann oft über die Weiterbildungsmöglichkeiten des Schülers und sie kann benutzt werden um den Kenntnis- und Wissensstand zu quantifizieren. Letzteres ist wichtig um Vergleiche zu ziehen zwischen Schülern, Schulen, Universitäten, Bundesländern und sogar Nationen. Und um Standards zu setzen.

Das alles beantwortet aber eigentlich noch nicht unsere Frage. Ich habe in meiner Schul- und Universitätslaufbahn irgendwann gemerkt, dass wir eigentlich nur Prüfungen schreiben, weil wir Noten brauchen, und wir brauchen Noten, weil es unsere Systeme so verlangen. Wie willst Du dich sonst, ohne Noten, z.B. auf ein Universitätsprogramm bewerben? Eine Alternative bieten die Schüler, die aus dem Sudbury-Schulmodell kommen. In diesen Sudbury-Schulen gibt es keinen Lehrplan. Schüler lernen wie, was und wann sie möchten. Wenn ein Schüler sich nach dem Schulabschluss entscheidet auf eine Universität zu gehen, dann schreibt dieser Schüler einen Aufsatz darüber warum er/sie bereit ist auf eine Hochschule zu gehen und warum er/sie die Voraussetzungen für die gewählte Fachrichtung mitbringt. Das funktioniert. Teilweise so gut sogar, dass diese Schüler nicht nur einen Platz an ihrer priorisierten Hochschule bekommen, sondern auch im Laufe des Studiums wesentlich besser abschneiden als Schüler aus dem klassischen Schulsystem.

Es ist schön zu wissen, dass es funktionierende Alternativen gibt, aber solange unsere Systeme noch Prüfungen und Noten als wesentliche Fundamente aufweisen, müssen wir erst einmal wissen, wie wir mit denen besser umgehen können.

Warum erzeugen Prüfungen so ein wahnsinniges Druckgefühl?

Ich glaube, jeder hatte irgendwann schon mal Schiss vor einer Prüfung. Aber warum eigentlich? In unserer Gesellschaft hängt unfassbar viel von Prüfungen ab. Wir benutzen Prüfungen als Bewertungsgrundlage für beinahe alles. Der Wahn fängt schon in der Grundschule an und hört teilweise noch nicht mal im Beruf auf. Ein guter Kumpel von mir hatte neulich in seinem neuen Job das größte Projekt aller Zeiten für seine Firma sehr erfolgreich abgeschlossen. Er hatte sehr hohe Einsparungen für seine Firma erzielt und das war sogar sein aller erstes Projekt dort. Trotzdem bestand die Firma darauf seinen neuen Vertrag auf der Basis einer mündlichen Prüfung über theoretisches Wissen auszuhandeln.

Wer kein gutes Abitur schreibt kommt auf keine gute Universität. Es gibt weitere Beispiele auf fast jeder Ebene der Gesellschaft. Es hängt also offensichtlich sehr viel von Prüfungen und Noten ab. Wer schlecht abschneidet, hat automatisch weniger Weiterbildungsmöglichkeiten zur Auswahl. Dann ist es ja nicht verwunderlich, dass bei Prüfungen, vor allem bei größeren Prüfungen, dieses Druckgefühl kommt.

Warum ist es wichtig dieses Druckgefühl zu überwinden?

Neurowissenschaftler haben schon lange bewiesen, dass Stress nicht nur ungesund ist, sondern dass er auch unsere Denkfähigkeit extrem hemmt. Ganz einfach ausgedrückt bedeutet das, wenn wir dieses Druckgefühl nicht kontrollieren können und deswegen gestresst in eine Prüfung gehen, haben wir sehr schlechte Voraussetzungen unsere komplette Denkfähigkeit einzusetzen.

Wie kann man dieses Druckgefühl überwinden?

Ich kann mich noch genau an die Prüfung erinnern wo ich mir das erste mal gesagt habe: 'Heute bleibst du einfach mal gelassen... egal was passiert!' Ich war in der Oberstufe und ab dieser Prüfung änderte sich alles für mich. Seit dieser Prüfung habe ich kein einziges mal wieder dieses hemmende Druckgefühl gespürt. Warum? Weil ich ganz klar gemerkt habe, wie hemmend dieses Druckgefühl immer war und wie befreiend es ist, gelassen eine Prüfung zu schreiben. Mir ging es psychisch wesentlich besser und meine Leistungen haben sich ganz klar gesteigert. Ein paar wichtige Erkenntnisse haben mir dabei geholfen:

  1. Es geht bei Prüfungen nicht um Leben und Tod. Klar hängt viel von Prüfungen ab. Das haben wir oben schon festgestellt. Es gibt aber sehr, sehr vieles was wichtiger ist als eine Prüfung. Das zu verinnerlichen und mit in jede Prüfung zu tragen hat mir sehr viel geholfen.
  2. Vorbereitung ist alles. Gelassenheit kommt bei mir durch eine gute Vorbereitung. Der Grund dafür ist eigentlich Kontrolle. Was kann ich bei einer Prüfung kontrollieren? Welche Aufgaben gestellt werden, wie es mir an diesem Tag geht, wie fair die Prüfung aufgebaut ist... das kann ich alles nicht kontrollieren. Was ich aber kontrollieren kann, ist wie gut ich mich darauf vorbereite.
  3. Nicht alle Prüfungen sind gleich wichtig. Abiturprüfungen sind wichtiger, als normale Klausuren. Universitätsprüfungen sind meistens alle gleich 'wichtig', aber oft so umfangreich, dass man sich natürlich nicht auf alle Inhalte perfekt vorbereiten kann. Ich fange immer bei meiner Vorbereitung damit an, mir einen gesamten Überblick über die Inhalte zu verschaffen. Dann stelle ich mir ganz ehrlich die Frage: 'Was möchtest du hiervon überhaupt lernen/behalten?' Alles was durch diesen Filter durchfällt, verliert für mich automatisch an Bedeutung. Ich lerne ja nicht um andere zufrieden zu stellen. Ich lerne, weil ich mich und meine Umwelt besser verstehen möchte.