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Mathe - Teil I

Mathe - Teil I

André, 09.05.2016

Wir haben ein großes Problem. Jeden Tag verlieren zahlreiche junge Menschen das Interesse an der Mathematik und an den Naturwissenschaften. Sie erleben diese 'Fächer'* als frustrierend, langweilig, trocken und manchmal als etwas beinahe Unmögliches. Das traurige ist: Diese jungen Menschen haben vollkommen Recht.

* Mathematik und Naturwissenschaften sind eigentlich nicht in Fächer zu trennen. Sie stehen in ständiger Wechselwirkung miteinander und anderen Wissenschaften.

Die Vermittlung von Mathematik und Naturwissenschaften (NaWi) im Großteil der Schulen ist zum Scheitern prädestiniert. Kurz gefasst sieht der schulische Ansatz so aus:

Im klassischen Schulsystem werden Mathe und NaWi als hierarchisch betrachtet und unterrichtet. Als erstes lernt man die Grundlagen. Sobald diese abgehakt sind, kann man tiefer in die Methodik einsteigen. Der Lehrplan gibt den Ton an, und der Ton ist: 'Immer weiter.' Im Abitur wird dann nicht wiederholt wie man Brüche multipliziert - dieses Wissen wird vorausgesetzt. Am Ende sollen die Schüler ein breites Spektrum an Rechenwegen beherrschen. Der klare Fokus liegt auf Methodik.

In meiner langjährigen Erfahrung als Nachhilfelehrer und Lernbegleiter sehe ich täglich, wie katastrophal dieser Ansatz scheitert. Junge Menschen sind mit diesen 'Fächern' überfordert. Sie rechnen auf zwei Seiten Aufgaben, mit Formeln die sie nur halb verstehen, und wissen dabei nicht, warum sie das überhaupt alles machen. Wenn sie den Lehrer fragen, heißt es: Keine Zeit für eine Erklärung, es muss weiter gehen.

Bei meinen Schülern ist es eine Ausnahme, wenn eine/r schon Wissen mit aus dem Unterricht bringt. Für mich bedeutet das, dass ich die Themen von null auf unterrichten muss. Obwohl es mir so ehrlich gesagt mehr Spaß macht, ist das schon schockierend. Das ist auch der Grund, warum der Markt für Nachhilfe Jahr für Jahr wächst. Dieser Markt ist mittlerweile 879 Millionen Euro schwer, und jeder siebte Schüler schafft ohne Nachhilfe nicht mehr die Schule (jeder fünfte Gymnasiast). Das beliebteste Nachhilfefach ist natürlich Mathe.[1]

Das wirkliche Problem kommt erst jetzt. Jugendliche sind Menschen. Das klingt offensichtlich, wird in unserer Gesellschaft jedoch meist ignoriert. Emotionen finden wenig Platz im Schulalltag. Das ist sehr problematisch für Mathe und NaWi, denn sie sind höchst emotionale Bereiche.

Schüler müssen lernen, Schritte zu wagen, etwas auszuprobieren. Auch mal zu scheitern. Sie müssen lernen, mit Frust umzugehen, und wie man aus Fehlern lernt. Sie müssen aber auch die Chance bekommen, die Euphorie des Erfolges oder des Verstehens zu spüren. Wenn diese positiven Erfahrungen fehlen, werden Mathe und NaWi nur als Überforderung wahrgenommen.

So entsteht übrigens Motivation. Wenn Schüler positive Momente in Verbindung mit Mathe und Nawi erleben, dann sind sie auch wesentlich offener, sich in diesen Bereichen zu verbessern. Gerade bei Mathe und NaWi kann das besonders gut funktionieren, denn sie sind besonders schön, wertvoll, und bieten einen tollen Nährboden für alle möglichen Fragen, die sich ein Mensch so stellt.

Schüler wünschen sich einen Bezug zu ihrem Alltag, zu ihren persönlichen Erfahrungen. Dieser Bezug ist omnipräsent in allen Disziplinen der Mathematik und Naturwissenschaften. Für diesen Bezug und die begleitende emotionale Unterstützung ist im Lehrplan aber leider kein Platz.

Mathe und NaWi sind in der Schule für viele junge Menschen eine psychologische Herausforderung. Ich frage mich oft: Warum? Doch eigentlich kenne ich die Antwort schon längst: Aufgrund des rein methodischen Ansatzes.

Ein Mathematiker von Beruf (ja, die gibt es!) sagte mir mal: 'Mathe ist die Kunst, das Rechnen zu vermeiden'. Zwei Sachen sind an dieser Aussage besonders interessant. Erstens: Mathe ist eine Kunst. Wenn ich das meinen Schülern sage, antworten sie mir: 'Ist ja schön und gut, aber wie finde ich jetzt die Nullstellen dieser quadratischen Gleichung?' Zweitens: Bei Mathe sollte man das Rechnen vermeiden. Das kaufen mir die Schüler erst recht nicht ab, weil sie ja zwölf Jahre lang nicht anderes machen im Unterricht als Rechnen.

Wenn die individuelle Unterstützung fehlt, folgen Frust und Verzweiflung automatisch. Langsam verwurzelt sich eine wahre Angst vor der Überforderung. Ich erlebe täglich in meiner Umgebung eine weitflächige Mathe-Phobie. Denn die Angst, die sich in der Schule entwickelt, bleibt oft ein Leben lang. Das ist natürlich auch keine gute Voraussetzung für die NaWi.

In einer Gesellschaft, die sich immer mehr auf Wissenschaft und Technologie verlässt, wird es sehr schwierig, wenn man als Mensch nicht mit mathematischen und naturwissenschaftlichen Ideen umgehen kann. Gleichzeitig wird weiterhin behauptet, dass die Schule uns auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet.

Im zweiten Teil dieses Beitrags möchte ich zum Positiven kommen: Wie kann es anders gehen?